Buchtip:

Hier ein neuer Roman von einer Indigenen aus der USA. Die Rezension stand in der Jungen Welt. Erschienen ist das Buch im Pallisander-Verlag. Viel Spaß beim Lesen. Elke und Holger Zimmer, Tokatá LPSG Rhein/Main

Aus: Ausgabe vom 23.03.2021, Seite 10 / Feuilleton Literatur

»Was sind das für Menschen?«

Das Verschwinden einer Kultur: Ella Cara Delorias Roman »Waterlily« beschreibt die Vertreibung der US-Ureinwohner Von Gerd Bedszent Ella Cara Deloria Palisander Verlag

Teilnehmende Beobachterin: Ella Cara Deloria in Tracht Ella Cara Deloria: Waterlily. Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Elstner und Uta Millner, Palisander-Verlag, Chemnitz 2021, 359 Seiten, 22,90 Euro

Es gibt viele belletristische Werke, die vorgeben, ihre Leserinnen und Leser über das Leben der Ureinwohner Nordamerikas zu informieren. Die meisten davon taugen nichts, wurden von Leuten geschrieben, die die geschilderten Ereignisse und die beschriebenen Landschaften höchstens vom Hörensagen kannten. Anders verhält es sich mit Ella Cara Deloria und ihrem Roman »Waterlily« von 1944, der nun erstmals in einer deutschen Übersetzung vorliegt.

Die indigene Autorin Ella Cara Deloria (oder in ihrer Muttersprache Lakota: Anpetu Wašte-win – Schöne-Tag-Frau) wurde 1889 in einem Reservat im Südwesten des US-Bundesstaates South Dakota geboren. Ihr Großvater hatte den größten Teil des Landes seiner Stammesgruppe vertraglich der US-Regierung überlassen und sich mit einem vergleichsweise winzigen Reservat begnügt. Ihr Vater war schon als Kind getauft worden und betätigte sich als Missionar für die Episkopalkirche – sorgte allerdings für eine vergleichsweise gute Schulbildung seiner Tochter. Diese hatte als Kind noch einen Sonnentanz miterlebt. Sie wuchs in einem Spannungsfeld auf zwischen im Stammesdenken erstarrtem Konservatismus und dem sich unter den Unterworfenen ausbreitenden Christentum. Sie studierte Erziehungswissenschaft und wurde Lehrerin, hielt aber auch Vorträge über die Kultur ihres Volkes. Als der namhafte Ethnologe Franz Boas auf ihre Arbeit aufmerksam wurde, begann sie, Legenden und Überlieferungen ihres Volkes zu Papier zu bringen; später schrieb sie auch Abhandlungen für ethnologische Fachzeitschriften. Heute gelten ihre Forschungen als Pionierarbeiten.

Ihren ersten und einzigen Roman »Waterlily« (ursprünglich wesentlich umfangreicher, als die hier vorliegende Ausgabe) konnte die Autorin im Jahre 1944 abschließen. Obwohl sie das Manuskript danach auf Anraten von Lektoren und Verlegern wesentlich zusammenstrich und alle Szenen tilgte, von denen man annahm, sie würden von der überwiegend weißen Leserschaft nicht verstanden, verzögerte sich die Veröffentlichung immer wieder, so dass sie den Erfolg des Buches nicht mehr erlebte.

Nein, eine Beschreibung siegreicher Schlachten und heldenhafter Kämpfe wird man in dem Roman nicht finden. Es handelt sich im wesentlichen um die Schilderung des Alltagslebens einer Stammesgruppe, die in den Prärien des US-amerikanischen Mittelwestens lebt. Die Handlung spielt zur Zeit der Ankunft erster weißer Einwanderer in der Region. Man liest über gemeinsame Jagden, welche die Grundlage ihres Lebens bildeten, aber auch über den wesentlichen Anteil der Frauen am Überleben der Gruppe. Einen bedeutenden Teil nimmt die Schilderung von deren Sitten und Gebräuchen ein sowie von Formen des familiären Zusammenlebens. Es werden auch vereinzelte Zusammenstöße mit Angehörigen »feindlicher« Stämme beschrieben. Oft fielen solchen Attacken einzeln angetroffene Frauen und Kinder zum Opfer.

Es handelt sich bei dem Roman aber auch um die überaus gelungene Schilderung des Niederganges und Verschwindens einer Kultur. Die kapitalistische Moderne erreichte in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch die abgelegene Prärielandschaft. Etwa in der Mitte des Buches wird erstmals das Auftauchen eines weißen Mannes in einem Zeltlager erwähnt. Die Gruppe rettet den Mann vor dem Verhungern und will ihn – ihren Bräuchen gemäß – adoptieren. Dieser macht sich jedoch unter Mitnahme des besten Pferdes seiner Gastgeber wieder davon. Als nächstes erscheinen Händler, bieten begehrte Waren an, verbreiten aber auch bisher unbekannte Krankheiten. Dann wird begonnen, eine Eisenbahnlinie durch das Gebiet zu bauen. Als nächstes folgt das massenhafte Abschlachten der den Bahnverkehr störenden Büffelherden durch Banden professionell arbeitender weiße Jäger.

Die Autorin schildert das unbegreiflich Scheinende aus der Sicht der Betroffenen: »Was sind das für Menschen, die so verschwenderisch sind? Sind das Kinder? Sind sie nicht bei Verstand? Wenn das so weitergeht, werden wir alle verhungern.« Das letzte Viertel des Buches dominiert dann die Schilderung von Hungersnöten sowie das Massensterben in Zeltlagern.

Ella Cara Deloria starb im Jahre 1971. Ihr Roman erschien 1988, mehr als 40 Jahre nach Fertigstellung der ersten Manuskriptfassung.

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