International Peoples Tribunal On Leonard Peltier, Wisconsin Oktober 2013

Anbei in ungekürzter Form ein Artikel, der Anfang 2014 in gekürzter und geänderter Form auch im COYOTE – Magazin erscheinen wird. Der Artikel ist im Stile eines Reiseberichts verfasst und bindet dabei die entsprechenden Informationen zu dem o. g. Tribunal sowie zum 14. Oglala Commemoration Day (Juni 2013)  und zu einer Ausstellung über das AIM in Minneapolis ein.

The Journey, Part One: I´m not Your Indian Anymore & Oglala Commemoration Day 2013

Irgendwann musste es wohl mal geschehen und dieses mal war es denn soweit: unzählige Male konnte ich bei meinen Einreisen in die USA nur in aller letzter Minute meinen Anschlussflug nach Rapid City erreichen, meist wenn meine Einreise über Chicago verlief. Doch nun wurde ich zu einer unfreiwilligen Zwangsübernachtung in „the windy city“ gezwungen. Das Einreiseverfahren dauerte Stunden, keine Chance meine restliche Reise noch am gleichen Tag zu beenden. Während ich downtown durch Chicago bummelte warf ich kurzerhand meine Reisepläne über den Haufen. Statt von Rapid City direkt in die Pine Ridge Reservation zu fahren, sollte nun doch zuerst  Minneapolis die erste Etappe meiner Tour werden.  Nach knapp 10stündiger Fahrt erreichte ich die Twin – Cities St. Paul und Minneapolis in Minnesota und fand dort auch relativ problemlos in der East Franklin Avenue die All My Relations Gallery, das erste Ziel meiner Reise. Lediglich eine halbstündige Zwangspause am Rand der Interstate 90 unterbrach meine Fahrt, nach dem ich hinter mir die roten und blauen Lichter der Highway Patrol wahrnahm. So fühlte sich das also an, wenn man  in den Fokus der Polizei gerät – auch wenn es nur wegen Überschreitung des Tempolimits war. Als bei der Routinekontrolle dann noch der Blick auf die neue AIM – Flagge auf dem Rücksitz fiel, die ich vor meiner Abfahrt in Rapid City im Dakota Drum von Sonja Holy Eagle geschenkt bekam, hielt ich für einen weiteren Moment den Atem an. In diesem Moment war ich mir ziemlich sicher, dass die verhalten höfliche Reaktion des Polizisten vor allem meiner weißen Hautfarbe geschuldet war. 104,– US- $ Geldbuße oder wahlweise einen Gerichtstermin irgendwo zwischen somewhere und nowhere und ich konnte meine Fahrt fortsetzen. Der Cheyenne – Arapaho – Musiker Mitch Walking Elk, ein langjähriger Freund, hatte AIM – Mitbegründer Clyde Bellecourt bereits über meinem bevorstehenden Besuch informiert und   entsprechend fielen Ankunft und mein erster Besuch der All My Relations Gallery  in informativ – entspannter und gastfreundlicher Atmosphäre statt. Fasziniert betrachtete ich mir Exponate und Fotodokumente der Ausstellung „I´m Not Your Indian Anymore“, die im Allgemeinen der Geschichte des American Indian Movements und im  Speziellen Floyd Westerman gewidmet war. Die Ausstellung der Fotos von Roger Woo, Keri Pickett und  Dick Bancroft  hätte kaum besser lokalisiert werden können, war doch die Gegend um die Franklin Avenue Ende der 60er Jahre eines jener Viertel, in denen die Stadtindianer durch den alltäglichen rassistischen Polizeiterror gedemütigt und schikaniert wurden und somit auch Zentrum des 1968 entstandenen AIM. Heute gilt die Straße mit ihren Galerien, Restaurants, einem indianischen Kaffee und einer kleinen Bäckerei als American Indian Cultural Corridor.  Hatte ich gehofft im Verlauf der kommenden beiden Tage den 1927 geborenen Fotografen Dick Bancroft anzutreffen, dessen Buch „We Are Still Here“ gerade erschienen war (s. a. COYOTE Heft 98/Sommer 2013), so wurde diese Hoffnung zwar enttäuscht. Doch Bill Means, Mitgründer des International Indian Treaty Councils und langjähriger AIM – Aktivist, machte mich darauf aufmerksam, dass ich Dick gegebenenfalls beim International Peltier Tribunal im Oktober 2013 in Green Bay treffen könnte. Eine Teilnahme an diesem Treffen lag für mich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch in weiter Ferne, auch aus Zeit- und Kostengründen.

Noch in der Nacht brach ich auf zu meiner Rückreise nach Süd Dakota, um dort am diesjährigen Oglala Commemoration Day teilzunehmen. Unterbrochen wurde diese Fahrt immer wieder durch heftige Unwetter, was bei meiner Ankunft in Pine Ridge, natürlich auch wieder bei wütend tobenden Thunderstorms, dazu führte mich mit dem Namen „he brings heavy weather“ zu begrüßen. Es war 2013 zum vierzehnten Mal, dass in Oglala am 26. Juni, also am Tag jener tödlichen Schießerei, die ursächlich war für die seit 1976 anhaltende Inhaftierung des indianischen politischen Gefangenen Leonard Peltier, diesem Tag mit mehreren Veranstaltungen gedacht wurde. Als Vertreter der deutschen  Peltier – Unterstützer konnte ich am Abend einen kurzen Redebeitrag halten. Der Commemoration Day begann jedoch, wie all die Jahre zuvor, östlich von Oglala an jenem kleinen Friedhof, auf dem auch der durch das FBI erschossene AIM – Aktivist Joe Stuntz begraben ist und lange Jahre auch Anna Mae Aquash beigesetzt war. Nach einem Gebet setzte sich der Gedenk- und Protestzug flankiert durch eine AIM – Grassroots -Security in Bewegung und zog durch die mittägliche Hitze zum Grundstück der Jumping Bull Family. Auf diesem Grundstück hatte AIM im Frühsommer 1975 sein spirituelles Schutzcamp aufgebaut, um vor allem ältere Lakota – Familien vor dem Terror der Bureau of Indian Affairs – Police und der Guardians of Oglala Nation (Goons) zu schützen. Und auf dieses Grundstück rasten ohne Vorankündigung am Spätvormittag des 26. Juni 1975 die beiden FBI – Agenten Jack Coler und  Ronald Williams, worauf ein heftiger Schusswechsel begann, in dessen Verlauf Coler und Williams aber auch Joe Stuntz erschossen wurden.

Der jährliche Oglala Commemoration Day erinnert nicht nur an diesen Tag und an die Opfer dieses Tages, die letztendlich von allen Anwesenden als kalkulierte Opfer einer durch die Polizei inszenierten Schießerei gesehen werden, die zum Ziel hatte, das American Indian Movement ein für alle male zu zerschlagen. Der Tag erinnert auch an das Engagement des AIM für die terrorisierte Bevölkerung und an den AIM – Aktivisten Leonard Peltier, der 1977 zu zweimal Lebenslänglich wegen Beihilfe im Falle des Todes der beiden FBI – Agenten (aiding and abetting) verurteilt wurde und seit nunmehr über 38 Jahren inhaftiert ist.

An dem Gedenkzug nahmen neben zahlreichen AIM – Grassroots – Mitgliedern und BewohnerInnen der Pine Ridge Reservation auch Peltier- und AIM – Supporter aus anderen Teilen der USA, Australiens und  Deutschlands sowie Mitglieder der Bands BLACK OWL SOCIETY (vormals Indigenous) und SHADOW NATION  teil, die am gleichen Abend im Prairie Wind Casino auftreten sollten. Auf dem Jumping Bull Gelände angekommen begrüßte Ivo Long Visitor die Marschteilnehmer und die Familie Jumping Bull und verlas zunächst ein Statement Leonard Peltiers zu diesem Tag. Tom Poor Bear, langjähriger AIM – Aktivist und derzeitiger Vizepräsident des Oglala Lakota Stammesrates verkündete, dass mit dem 26. Juni 2013 dieser Tag von nun an als jährlicher „Leonard Peltier Tag“ begangen wird. Eine entsprechende Proklamation des Stammesrates, die durch ihn sowie den Stammespräsidenten Bryan Brewer (die Brewers selbst zählten in den 70er Jahren mit zu einer der führenden Goon – Familien) unterzeichnet wurde, las Poor Bear den Anwesenden vor.  Die Oneida Dorothy Ninham, bis November 2013 Sprecherin des Leonard Peltier Defense Offense Committee (LPDOC), informierte über Peltiers derzeitige Haft- und Gesundheitssituation. Als dann Leonard Peltier auf einem Handy der Anwesenden aus seiner Haft anrief und sein Anruf über die Lautsprecheranlage für alle hörbar übertragen wurde, trat unverzüglich Stille und tiefe Ergriffenheit ein. Vielen der älteren Anwesenden liefen Tränen übers Gesicht. Peltier bedankte sich für das anhaltende Engagement, scherzte, dass er liebend gerne jetzt unter den Anwesenden weilen würde und drückte wohl auch selbstermutigend seine Hoffnung aus, möglichst bald frei zu sein. Man sei jetzt an einer entscheidenden Stelle und dürfe den Kampf für seine Freiheit und die Rechte der Indigenen nicht aufgeben. Dann sprach er über das Handy noch mit einzelnen der Anwesenden, unter anderem auch mit dem Autor dieses Artikels, dem er auch seinen  Dank an alle deutschen und europäischen Unterstützer mit der Bitte so auch weiterzumachen ausdrückte. Einer der Anwesenden beobachtete unser Telefonat und kam anschließend zu mir. „Wenn du wissen willst, wie dies für uns als Kinder und Jugendliche damals war, dieser Terror der Goons, dann schau her!“ Mit diesen Worten hob der Lakota sein T – Shirt und zeigte auf zahlreiche Einschüsse im Bereich seines Oberkörpers. „Dabei hatte ich noch Glück, dass einige Holzmöbel an der Zimmerwand standen. Die Goons sind einfach vor unser Haus vorgefahren und haben mit ihren automatischen Waffen wahllos auf das Haus geballert. Wir, die Menschen aus der Reservation, haben das AIM um Hilfe und Unterstützung gerufen. Und das AIM und Leonard Peltier kamen und haben uns geholfen. Viele von uns  verdanken ihnen unser Leben. Ich werde Leonard Peltier immer dankbar sein und lieben. Er ist ein Held. Und er ist ein guter Mensch.“

Am gleichen Abend fand im Prairie Wind Casino, westlich von Oglala, der abschließende Kulturabend statt. Zahlreiche Bands traten auf. Die Organisatorinnen des Oglala Commemoration Events, Liza und Gina, Dorothy Ninham für das LPDOC und ich, als Vertreter der deutschen Peltier – Unterstützer, informierten in Umbaupausen über die weitere Unterstützungsarbeit, über Peltiers Haftsituation in Florida  und  über die Bündnisstrategie   der deutschen Peltier Support Group, die dazu beitrug, dass in den vergangenen Jahren der Fall und das Schicksal Leonard Peltiers in den unterschiedlichsten Bevölkerungskreisen aber auch sozialen Bewegungen an Aufmerksamkeit gewonnen hat und sich zunehmend weiter vernetzt. Hiermit würden auch andere Belange der Indigenen in den Fokus der europäischen Aufmerksamkeit gelangen und dies sei für die kommenden Auseinandersetzungen sehr wichtig. „Die anhaltende Haft Leonard Peltiers soll den Indigenen aber auch der restlichen Welt zeigen, was passieren kann wenn   Menschen sich gegen die Keystone XL Pipeline, Fracking und gegen internationale Konzerne im Energie-, Rohstoff- und Agrarbereich zur Wehr setzen und für die eigenen Rechte einsetzen. Peltier säße in Geißelhaft für alle sozialen Bewegungen und indianischen Angelegenheiten. Und deshalb muss auch der Kampf für seine Freiheit weiter geführt werden, auch im Kontext anderer sozialer oder ökologischer Auseinandersetzungen.“

Du solltest im Herbst zum International Peltier Forum nach Green Bay kommen“, verabschiedete sich Dorothy Ninham von mir und bekräftigte diesen Wunsch in den kommenden Wochen und Monaten immer wieder per Email. „Es wäre wichtig auch einen Vertreter aus Europa dabei zu haben und außerdem würdest du noch viele interessante Menschen kennenlernen.“ Und so nahm „The Journey, Part Two“ langsam Gestalt an.

The Journey, Part Two: Vom “Leonard Peltier International Tribunal on Abuse of Indigenous Human Rights” zum “International Peoples Tribunal on Leonard Peltier”

Welcome at home, Mike”, begrüßte mich eine Lakota im Flur des Radisson Hotel & Conferende Centres in Green Bay/Wisconsin. Nach achtstündigem Flug von Frankfurt nach Chicago sowie vierstündiger Autofahrt weiter nach Green Bay hätte es kaum einen schöneren Empfang geben können, auch wenn ich etwas irritiert war so am Rande der Oneida – Reservation begrüßt zu werden. Dass ich die Möglichkeit hatte der Einladung Dorothy Ninhams zu folgen verdankte ich vor allem zahlreichen Spenderinnen und Spendern, die mir als Vertreter der deutschen Peltier – Supportbewegung diese erneute Reise ermöglichten. Das „Leonard Peltier International Tribunal on Abuse of Indigenous Human Rights“, wie das dreitägige Tribunal anfänglich noch hieß, wurde unter anderem organisiert von Dororthy Ninham und Gina Buenrostro (beide LPDOC und Wind Chases The Sun Inc.), AIM – Mitbegründer Clyde Bellecourt, AIM – Aktivist und International Indian Treaty Council – Mitgründer Bill Means sowie von dem langjährigen AIM – Fotochronisten Dick Bancroft, der seit 1970 das American Indian Movement, dessen AktivistInnen und das indianische Leben zwischen   Alltag und Widerstand mit seinen Fotos dokumentierte. In der Zeit vom 2. bis 4. Oktober 2013 sollten vor einer „Gerichts – Jury“ zahlreiche Zeitzeugen über die Verstöße gegen indigene Menschenrechte berichten und somit ein umfassendes Bild über die anhaltende Genozid-, Ethnozid- und Ökozidgeschichte der Native Americans Nordamerikas zeichnen. In seinem Statement vom 9. September 2013 beschrieb Leonard Peltier die Zielsetzung des Tribunals wie folgt: „Das Ziel des Tribunals ist es die zahlreichen Kämpfe mit der US – Regierung zu dokumentieren. Die Regierung war beteiligt an all den Verboten von für uns wichtigen Freiheiten, von der Art wie wir in unseren Zeremonien mit unserem Creator sprachen bis hin wie wir unsere Kinder erzogen. Vergesst niemals die spirituellen, emotionalen, physischen und psychischen Zerstörungen die davon herrührten, dass drei- und vierjährige Native Kids aus den Armen ihrer Eltern entrissen wurden und in die Hände kalt- und hartherziger Matronen in den Internatsschulen gegeben wurden. Menschen die bislang ihre Familien durch Fischen und Jagen versorgt hatten, fanden sich auf einmal auf der „falschen Seite des Gesetzes“ wieder und Hunger wurde zum Alltag.  Acres für Acre schönster Landschaft   indianischen Gebiets wurden  für die Urangewinnung zerstört ….Ich bin das beste Beispiel dafür was geschieht wenn du dagegen aufstehst und versuchst Alte, Babys, die indianischen Gemeinschaften vor Korruption und den Bruch mit dem „sacred way of life“ zu schützen.“ 

Vor der fünfköpfigen Tribunal – Jury, die aus Alberto Saldamondo (Menschenrechtsanwalt), Tatewin Means (Generalstaatsanwältin für die Oglala Nation in der Pine Ridge Reservation), James Riding In (Pawnee Professor an der Arizona State Univesity), Nisé Guz Nekheba (Professorin an der Florida A & M University College of Law) und Akimel O’odham (Menschenrechtsaktivist) bestand, sagten in den folgenden drei Tagen unter anderem Bill Means, Clyde Bellecourt, Herb Poweless (ebenfalls Mitbegründer von AIM), Madonna Thunderheart (Mitgründerin von Women Of All Red Nations – WARN), Tom Poor Bear, Dino Butler (mit Bob Robideau (gest. 2009) und Leonard Peltier wegen des „Mordes“ an den beiden FBI –Agenten Coler und Williams verfolgt, inhaftiert und  angeklagt aber ebenso wie Bob Robideau wegen der offensichtlichen FBI – Manipulationen von Beweismitteln freigesprochen), Dorothy Ninham, Apesanakwat (Menominee Warrior Society), Lenny Foster (Navajo Prison Rights Project) und weitere Personen aus. Dennis Banks, ebenfalls Mitgründer des AIM sorgte für ein kämpferisches wenn auch phasenweise humorvolles zusammenfassendes Abschlussstatement. Neben all diesen und weiteren Rednern kam es immer wieder zu Videoeinspielungen, so unter anderem von Claus Biegerts aktuellem Film „I Am The Indian Voice“ und Bruce Smiths Video zu Leonard Peltier (Smith war lange Jahre im US – Gefängnis Leavenworth Peltiers Aufsichtsbeamter), zu Skype – und Telefongesprächen u. a.  mit Peltier – Verteidiger Bruce Ellison sowie Ann Dreaver vom Canadian Peltier Committee und zur Verlesung von Textpassagen aus Peter Mattheisens „In The Spirit Of Crazy Horse“ durch internationale Gäste. Der Autor selbst hatte am letzten Tag die Möglichkeit noch einmal eine Grußadresse europäischer Unterstützergruppen zu überbringen und in Kurzform die Supportarbeit der deutschen Unterstützergruppen sowie die Bündnisstrategie von Tokata – LPSG RheinMain vorzustellen.

Nach der Eröffnung des Tribunals durch Dorothy Ninham und einer Einführung durch Bill Means zu den Gründen der Veranstaltung (Why we are here) sowie einem telefonischen Grußwort Leonard Peltiers, in dem er betonte, dass er mittlerweile 69 Jahre alt sei, er nicht mehr so viel Zeit habe um frei zu sein, Native Americans niemals einen ihrer Brüder oder   Schwestern zurück gelassen hätten und dann vor allem diejenigen, die es sich bislang im Leben bequem gemacht hätten aufforderte, endlich sich zu erheben und für die Rechte der Indigenen zu kämpfen, zeichneten die einzelnen Beiträge   noch einmal ein umfassendes und vielfältiges Bild der permanenten Verletzung indigener Rechte durch die US – Regierung.

Dabei standen anfangs das Verhältnis der US – Regierung zu den unabhängigen Nationen der Lakota, Nakota und Dakota (Prof. Chris Maro Nupa, South West University)  sowie die Verträge von Fort Laramie und die Entstehung der Reservationen (Bill Means,   AIM & ITTC) im Fokus der Vorträge. Anschließend berichtete Clyde Bellecourt, einer der Mitgründer des American Indian Movements, über die Beweg- und Hintergründe des Entstehens von AIM. Bereits in der Haft im Stillwater State Prison hätten er, Dennis Banks und andere aufgrund der vielfältigen sozialen Problemlagen der indianischen Bevölkerung und der anhaltenden rassistischen Diskriminierung beschlossen, nach ihrer Entlassung eine den Black Panthers analoge Organisation aufzubauen, die sich für die Belange der Natives einsetzt. Dabei ging es nicht nur darum, sich gegen die alltäglichen polizeilichen Übergriffe und den Rassismus in Polizei, Justiz und Gesellschaft zu wehren, sondern vor allem auch, um Natives in Fragen der Jobsuche, Bildung, Gesundheit und Ernährung zu unterstützen. Auch Madonna Thunderhawk beschrieb diese Zeit des Aufbruchs und wie das AIM                                                                                                                                                                                                 dazu beitrug, dass sich bei den Indigenen wieder Selbstbewusstsein aufbaute. Gemeinsam mit Tom Poor Bear, Cuny Dog und Eileen Janis beschrieb sie die Situation in der Pine Ridge Reservation in den 70er Jahren, die vor allem durch eine Spaltung der dort lebenden indianischen Bevölkerung und tagtägliche bewaffnete Konflikte gekennzeichnet war. Die korrupte Stammesregierung unter Dick Wilson hatte traditionelle Lakota sowie politisch engagierte Personen aus dem Umfeld des AIM oder OSCRO (Oglala Sioux Civil Rights Organization) terrorisiert und liquidiert. Hierzu hatte Wilson eine eigene indianische Todesschwadron, die Goons, aufgebaut, die durch das FBI und die BIA – Polizei bestens aufgerüstet war. Es war die reinste Herrschaft des Schreckens, der über 60 Personen zum Opfer fielen. Diese Situation war einer der Mitauslöser für Wounded Knee 1973. Madonna Thunderhawk stellte bezüglich der Besetzung von Wounded Knee klar, dass es seitens der Natives niemals beabsichtigt war, dass diese Aktion dauerhaft anhielt oder gar eskalierte. Madonna Thunderhawk: „Das war eine Bewegung der dort lebenden Menschen. …Wir hatten auf dem Weg nach Wounded Knee alle in den Autos, von den Kleinkindern bis zu den Großeltern….Ich selbst hatte meinen zehnjährigen Sohn dabei. Das hätte ich doch nicht gemacht, wenn ich geahnt hätte, was mit uns geschieht.“  Thunderhawk und der Lakota Cuny Dog beschrieben außerdem ausführlich das System der Internatsschulen, in denen die indianischen Kinder gegen ihren Willen und gegen den Willen ihrer Eltern umerzogen werden sollten. Cuny Dog: „Ich wurde mit einem Lederriemen, der zum Schärfen der Rasierklingen diente, geschlagen. Und wenn ich Lakota sprach, bekam ich den Mund mit Seife ausgewaschen. Das war in Pine Ridge, damals war ich sechs Jahre alt. ….Die heutige Strategie … wäre es Natives bis zu ihrem Lebensende im Knast einzusperren.“ Später habe er daher verstanden, was das AIM für die Menschen in den Reservationen wirklich bedeutete, das hätte sein Leben völlig verändert. Er endete seinen Beitrag mit dem Satz, dass es höchste Zeit für Peltiers Freiheit sei. Und Bill Means ergänzte abschließend, AIM wäre zum Schutz der Menschen um Hilfe gebeten worden. Teilweise nur unter dem Schutz durch das AIM konnten traditionelle Lakota Dinge des täglichen Lebens verrichten, z. B. zur Post gehen, einkaufen, Wasser holen usw. Peltier und die anderen seien eingeladen worden, auf dem Gelände der Jumping Bull Familie zu campen. Peltier, Dino Butler und andere seien dort gewesen, um den Lakota gegen den Terror der Goons zu helfen.  Dino Butler beschrieb in seiner Aussage ebenfalls die Situation in der Pine Ridge Reservation. Es sei wie eine Kriegszone gewesen, täglich gab es Angriffe der Goons auf traditionelle oder AIM – nahe Lakota und deren Familien und Häuser. An dem Tag der Schießerei auf dem Jumping Bull Gelände war der amtierende Stammespräsident in Washington DC gewesen, um ca. 20% des Oglala – Stammesterritoriums der US – Regierung zu überschreiben. Hintergrund seien dort gefundene Uranvorkommen gewesen. Zur gleichen Zeit gab es innerhalb der Oglala Gruppen, die sich von dem Stamm und seiner bestehenden Terrorregierung lösen wollten und eine eigene, unabhängige Stammesregierung wählen wollten und hierzu von außerhalb Unterstützung anfragten. Im größeren Teil seiner Aussage beschrieb Butler die Geschehnisse des 26. Juni 1975 und die anschließende Flucht ausführlicher. Er selbst habe die beiden FBI – Agenten nicht tot gesehen. Er lebte mit Peltier, Robideau und ca. weiteren 30 Personen in dem Zeltcamp auf dem Gelände der Jumping Bulls. Als die Schießerei ausbrach habe er ebenfalls in Richtung Polizei geschossen, um Norman Brown (einer der anwesenden Zeltbewohner) aus der Schusslinie der Polizei zu bekommen. Er habe dabei aber bewusst über die Köpfe der Polizei geschossen. Bereits zehn Minuten nach Ausbruch des Schusswechsels seien am oberen Grundstücksrand immer mehr Polizisten gewesen, erste Straßensperren seien ebenfalls errichtet worden. Dino Butler: „Ich denke, wir waren bereits vor Beginn des Schusswechsels umstellt gewesen…. Es galt nun vor allem die Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen.“

Im Zentrum des zweiten Tribunal – Tags standen u. a. die Aussagen von Dorothy Ninham und Lenny Forster über Peltiers Haftsituation. Ninham beschrieb nochmals das Auslöseereignis für Peltiers Verlegung von Lewisburg/Pennsylvania nach Coleman/Florida im Jahr 2011. Mit dieser Verlegung wurden nicht nur die Besuchsbedingungen für Peltier erheblich beeinträchtigt, sowohl was Freunde, Familie als auch Anwälte betrifft, vielmehr wurde auch Peltiers medizinische Versorgung eingeschränkt. Peltier leide unter hohem Blutdruck und Diabetes, ihm seien anfänglich jedoch alle Medikamente gestrichen und derzeit auf die Hälfte der notwendigen Ration reduziert worden. Begründung: das Gefängnis müsse sparen. Die ärztliche Versorgung sei völlig unzureichend, manchmal würde die Untersuchungs- und Behandlungszeit weniger als 5 Minuten dauern. Laut ärztlicher Angaben sei Peltier absolut Herzinfarktgefährdet.

Besuche finden nur nach ausgiebigen Kontrollen statt, Post bekomme er teilweise mit über zweiwöchiger Verspätung zugestellt und selbst sein langjähriger „spiritual adviser“ Lenny Foster dürfe ihn nicht besuchen. Foster, Leiter des Navajo Nations Corrections Project und seit über 32 Jahren spiritueller Berater inhaftierter Natives, beschrieb Hintergründe aber auch Hindernisse seiner alltäglichen Arbeit und zeichnete dabei ein düsteres Bild des amerikanischen Gefängnissystems, dass lediglich dazu angelegt sei, Menschen zu brechen und zu erniedrigen. Forster, selbst langjähriger AIM – Aktivist, sieht in Peltier einen Modellgefangenen. Er kenne ihn seit 26 Jahren. „Peltier ist unser Nelson Mandela. …Wir dürfen nicht aufgeben für seine Freiheit zu kämpfen….Ich wünschte, der National Congress of American Indians (NCAI) würde eine aktivere Rolle bei den Bemühungen seiner Entlassung und Begnadigung spielen….Ich fühle, sie wollen ihn umbringen und im Gefängnis sterben lassen.“ Foster steht mit dieser Einschätzung nicht alleine da. In dem eingespielten Video „Leonard Peltier in Solitary Confinement“ des früheren Leavenworth – Gefängnisaufsehers Bruce Smith beschreibt dieser Peltier als Mustergefangenen und rhetorisch fügt Smith in Anbetracht der zahlreichen Erkrankungen Peltiers die Frage hinzu: „Wollen sie, dass er in der Haft stirbt? Sie vollziehen die Todesstrafe, in dem sie ihn in dieser Umgebung lassen.“  (www.youtube.com/watch?v=Z-y1bTyDIMI) Der Tag endete mit   Skype-Schaltungen zu  Peltiers  kanadischen Anwalt John Privatera und dem kanadischen Anwalt Peter Grand, der zur Zeit von Peltiers Auslieferung an die USA 1976 noch Jurastudent war.

Nach einem sehr informativen Vortrag von Professor Manny Pino über Uranvorkommen und –abbau sowie dessen Folgen für die (indigene) Bevölkerung wiesen am dritten Tribunal – Tag John Thomas, Yvonne Swan, Dino Butler und Dennis Banks nochmals ausführlich auf die Situation während der „reign of terror“ unter dem Stammespräsidenten Dick Wilson hin. Thomas beschrieb, wie die USA die Goon-Squads mit Waffen, Munition, Geld, Informationen über mögliche Zielpersonen (zumeist AIM – AktivistInnen) und auch mit notwendiger Deckung für ihre paramilitärischen Aktionen versorgten. Bill Means erinnerte daran, das zahlreiche Einzelpersonen zum Ziel für Anschläge erklärt wurden, es waren vor allem AIM – AktivistInnen und traditionelle Lakota, die ihr Engagement mit dem Leben bezahlten. Es sei manchmal wie in Vietnam gewesen, überall konnten umherfliegende  Kugeln jemanden treffen. Dino Butler sagte in seiner zweiten Aussage, er glaube, Peltier wäre genauso frei gesprochen worden, hätte er mit Robideau und ihm vor dem gleichen Gericht auf der Anklagebank gesessen. Für die frühere ITTC-Aktivistin Yvonne Swan ist Peltiers Unschuld sicher: „Er sagte mir, Yvonne, ich habe nie jemanden umgebracht.“ Swan zitierte eine Passage aus der UN – Deklaration für indigene Völker betreffend den Schutz von Frauen und Kindern und fuhr fort, „Leonard Peltier hat dies nicht geschrieben, aber hat dies gelebt.“ Auch Dennis Banks stellte in seinem 35minütigen Abschluss-Statement klar: „…wir waren im Krieg und im Krieg sagst du nicht wer schießt, wer auf wen schießt, …Dies war ein Krieg, ein Krieg der vor hunderten und hunderten Jahren begann und immer noch anhält. Wir sind das Ziel des längsten unerklärten Krieges in der Geschichte der US – Regierungen….Leonard Peltier ist ein großer Krieger. Er ist wie all die anderen, die im Camp lebten. ..Sie hörten den Ruf der Bevölkerung. Sie kamen um den Menschen beizustehen. Und so ist dies auch zu erinnern. Dies ist die einzige Art dies zu erinnern. Da war ein Krieg am Laufen, Ja, und wir haben hierauf entsprechend geantwortet…..Es waren nicht wir, die diesen Krieg begannen, es war das FBI!“

Welchen längerfristigen Effekt das Tribunal und dessen Zusammenfassung durch die Tribunal – Jury haben wird, wird sich zeigen. Sicherlich war es mehr als ein „Klassentreffen“ alter und junger AIM – Aktivisten. Sicherlich wird es für alle Beteiligten eine wichtige Energiequelle für zukünftige Auseinandersetzungen sein und diese zeichnen sich längst ab. Ob es dazu führt, dass sich die US – Regierung für die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und den Völkermord an den Ureinwohnern Amerikas offiziell und glaubhaft entschuldigt, für die barbarische Umerziehung in den Internatsschulen, für die jahrzehntelangen Zwangssterilisationen indianischer Mädchen und Frauen, für die bis heute anhaltende Kindesentnahme aus indianischen Familien, dies wird sich zeigen. Zweifel sind jedoch angebracht. Und ein weiterer Indikator über den Erfolg des Tribunals dürfte die Freilassung Leonard Peltiers sowie die Aufdeckung der FBI – Machenschaften in den blutigen Jahren des Terrors in der und um die Pine Ridge Reservation sein. Für die deutsche Unterstützerszene hat der Autor dies im Rahmen des Tribunals auf den Punkt gebracht: „Ich weiß, nach all den Erfahrungen mit uns weißen Menschen und unseren Versprechungen kann ich es nicht von euch erwarten, dass ihr meinen Worten glaubt. Dennoch sage ich es hier ganz klar: wir kämpfen weiter für Leonard Peltiers Freiheit und für die Rechte und Würde der Indigenen in dieser Welt – in peace or in struggle.“

Weitere Infos zum Tribunal:

http://bsnorrell.blogspot.de/2013/10/peltier-tribunal-agenda-indigenous.html

Dr. Michael Koch ist Vorsitzender von Tokata – LPSG RheinMain (www.leonardpeltier.de)

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