Rechts- & Haftsituation

Seit dem 6. Februar 1976 befindet sich Leonard Peltier  in Gefangenschaft. Und selbst dort ist Peltier nicht sicher. 1978 wurde er durch den indianischen Mitgefangenen, Robert H. Wilson aka Standing Deer (der am 22.1.2003 kurz nach seiner krankheits- und altersbedingten Haftentlassung in Houston/Texas erstochen wurde), von einem geplanten Mordkomplott gegen ihn informiert. Als er daraufhin am 20. Juli 1979 versuchte zu fliehen, sterben die mit ihm fliehenden indianischen Gefangenen Dallas Thundershield und Bobby Garcia und der von außen die Flucht unterstützende Rique Duenas entweder im Kugelhagel der Wärter oder später auf mysteriöse Art und Weise. Peltier wurde am fünften Tag seiner Flucht erneut festgenommen und zu zusätzlich 7 Jahren Haft verurteilt.

Für Peltier begann nun eine Odysee durch amerikanische Hochsicherheitstrakte. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Nach einem Schlaganfall erblindete er nahezu auf einem Auge. Er erkrankte an Diabetes und Bluthochdruck. Aufgrund tetanusbedingter Kieferprobleme, die die Aufnahme fester Nahrung immer mehr verunmöglichte, wurde Peltier Ende 1995 operiert und verblutete dabei fast. 14 Tage lag Peltier im Koma. 6 Jahre konnte er seine Nahrung nur durch den Strohhalm zu sich nehmen. Eine adäquate medizinische Versorgung und Behandlung, wie sie ihm durch die Mayo-Klinik angeboten wurde, wurde ihm bis zum Frühjahr 2000 verwehrt und kam dann auch nur aufgrund des weltweiten öffentlichen Drucks zustande.

Aber auch eine Wiederaufnahme seines Verfahrens und die Zulassung entlastender Beweismittel blieben ihm verwehrt. (näher hierzu, siehe die Prozess-Chronik im Anhang von M. L. Hofmann “Indian War”  und L. Peltier “Mein Leben ist mein Sonnentanz”) Alle Rechtsmittel sind mittlerweile ausgeschöpft, das Urteil von 1978 wird, trotz aller nun auch gerichtlich formulierten Kritik an FBI und Prozessführung, aufrechterhalten. Lediglich eine Begnadigung durch den Präsidenten der USA kann nun noch den Weg in die Freiheit eröffnen. Selbst frühere Richter aus Peltier – Verfahren, wie Richter Gerald Heaney, der 1986 eine Neuverhandlung noch ablehnte, frühere FBI-Agenten wie Don Edwards und der ehemalige US-Justizminister und spätere Peltier – Anwalt Ramsey Clark forderten die Begnadigung Leonard Peltiers, nicht nur wegen dessen bedrohlichen gesundheitlichen Zustandes. Lynn Crooks, jener Staatsanwalt, der 1977 im Prozess gegen Peltier die Anklage vertrat, sagte bereits 1986 bei einer gerichtlichen Anhörung: “Wir wissen nicht, wer diese Agenten getötet hat.”

1993 verfasste Ramsey Clark  ein Gnadengesuch an Präsident Bill Clinton. Das Gesuch wurde an den Generalstaatsanwalt weitergeleitet, der dann dem Präsidenten hätte eine Empfehlung schreiben müssen. In der Regel  dauert  dieser Vorgang   3 – 9 Monate. 7 Jahre später, am 8. November 2000, einen Tag nach der Präsidentschaftswahl Georg W. Bushs, verkündete  Clinton in einem Radiointerview, dass er sich nun die Zeit nähme, um u.a. Peltiers Fall zu sichten und dann zu entscheiden.  Vorausgegangen war eine weltweite Soli-Kampagne für Peltier, um Clinton im Rahmen der bei Amtswechseln üblichen Begnadigungen dazu zu bewegen, Peltier zu begnadigen.  Im Rahmen dieser Kampagne entsteht im August auch die LPSG RheinMain, die dann 2008 mit dem Verein „Tokata – Verein zur Unterstützung indianischer Jugend-, Kultur- und Menschenrechtsprojekte e. V.“ fusionierte (siehe auch: Tokata – LPSG RheinMain e. V.). Die Hoffnung weltweit ist groß, Peltier rechnet mit seiner Haftentlassung. Doch am 20. Januar 2001, nicht zuletzt aufgrund   einer USA-weiten, durch FBI und reaktionäre Kräfte gesteuerten Gegenkampagne steht fest: Clinton begnadigt Peltier nicht.

Auch die Bemühungen, eine Strafaussetzung auf Bewährung zu erreichen, wurde immer wieder abgelehnt – so z. B.  1993, 1996 und am 12. 6.2000 in Anwesenheit einer Delegation von Amnesty International. Begründet wurde dies mit dem Hinweis, Peltier würde sich als unschuldig bezeichnen und Unschuldige könne man eben nicht auf Bewährung freilassen. Erneut wurde  Peltier auf den  nächsten Beantragungstermin 2008 vertröstet.

2002 kündigte das FBI als Reaktion auf die Bemühungen von Peltiers Verteidigung die Freigabe von weiteren Akten zum Fall Leonard Peltiers zur Einsicht an. Für viele ist dies ein neuer Hoffnungsschimmer, um endlich Licht in das Dunkel dieses Justizskandals zu bringen. Entgegen früheren Behauptungen, dass es außer den 12000 im Jahre 1981 freigegebenen Seiten, nur noch 6000 Seiten gäbe, die allerdings unter Verschluss bleiben müssten, ist jetzt die Rede von weiteren 100.000 Seiten. Davon konnten Mitglieder der LPSGRheinMain bei einem Besuch des LPDC-Büros in Lawrence/Kansas im Sommer 2002  elf  Kartons mit 30000 Seiten sehen. Weitere 42000 Seiten würden im FBI-Büro Minneapolis lagern. Bis zur endgültigen Freigabe, Sichtung und Auswertung aller Dokumente würden sicherlich noch Jahre vergehen – eine Mammut – Aufgabe für Verteidigung, LPDC (Leonard Peltier Defense Committee) und Unterstützergruppen wie das 2001 gegründete Internationale Peltier Forum (IPF) > http://users.skynet.be/kola/index.htm. Peltier erkrankt im gleichen Jahr an „Fersensporn“, einer zwar nicht bedrohlichen aber dafür sehr schmerzhaften degenerativen Erkrankung der Füße. Auch hier sorgt erst öffentlicher Druck auf eine annähernd adäquate medizinische Versorgung.

Um eine Haftentlassung Peltiers zu erreichen, stellten Peltiers Anwälte beim 10. Berufungsgericht in Denver/Colorado am 19. September 2003 in einer öffentlichen Sitzung und unter Anwesenheit vieler Peltier-Supporter einen Antrag auf Anhörung Peltiers vor der Bewährungskommission. Im November 2003 lehnten die Denver Richter diesen Antrag erneut ab und verwiesen, wie auch in früheren Fällen, auf den nächsten offiziellen Anhörungstermin im Jahre 2008 – und dies alles unter dem Hinweis, „dass Peltier Recht haben könne, wenn er behauptet…., dass die Staatsanwaltschaft schon vor über 10 Jahren zugeben musste, dass sie nicht weiß, wer die Polizisten erschossen hat…..Aber es sei nicht die Aufgabe des Gerichtes, dies zu überprüfen, sondern nur festzustellen, ob die Strafaussetzungsbehörde rational gehandelt hat, als sie einen Anhörungstermin erst für das Jahr 2008 ansetzte.“  Das ist „Rechtsstaat“ a la USA! Und 2008, also 5 Jahre später, wäre dann Peltier 64 Jahre alt und hätte davon 32 Jahre in Haft verbracht.

Nach dem der Haftanstalt in Leavenworth/Kansas der Status als Hochsicherheitsgefängnis aberkannt wurde, wurde Peltier 2005 zuerst zu sechswöchiger Einzelhaft nach Terra Haute und  dann nach Lewisburg/Pennsylvania überführt. Kurz vor dem 33 Jahrestag seiner  Verhaftung wurde Peltier am 13. Januar 2009 dann in das Bundesgefängnis Canaan in Pennsylvania verlegt. Damit wurde auch die Bereitschaft einer Hafteinrichtung in der Turtle Mountain Reservation, den 64jährigen Peltier aufzunehmen abgewiesen, obwohl  ihn dies viel näher zu seinen Angehörigen und Freunden gebracht hätte Nach seiner Ankunft in Canaan wurde Peltier von 2 jungen Mitgefangenen angesprungen und verprügelt, ohne dass das Aufsichtspersonal eingegriffen hätte. Eine Untersuchung in einem Krankenhaus wurde verweigert, Leonard Peltier jedoch dafür in Einzelhaft genommen, ohne Kontakte zu Mitgefangenen. Die Möglichkeiten zu telefonieren wurden auf ein Gespräch monatlich beschränkt, seinen Anwälten wurde 10 Tage lang jeglicher Besuch verweigert. Auch das Treffen mit einer seiner Verteidigerinnen am 24.1.2009 fand hinter Trennscheiben statt.

Ob es sich bei der Attacke auf Peltier um eine „einfache Gewalttat“ oder eine gezielte Provokation handelte, um Peltiers bestehenden Ruf als Musterhäftling zu diskreditieren bleibt spekulativ. Doch das neue Verteidigungskomitee, LPDOC, befürchtete, dass u. U. man so versuchen wollte, Peltiers  Chancen bei einem in Bälde anstehenden Haftprüfungstermin zu mindern. Peltier wurde dann wieder nach Lewisburg zurück überführt, wo er bis heute inhaftiert ist.

Am 28. Juli 2009 kam die U.S. Parole Commission, eine dem US- Justizministerium zugehörige Begnadigungskommission für Bundesdelikte (mehr Infos unter: www.usdoj.gov.)   im Falle Peltier erneut zusammen. Peltier, begleitet von seinen Anwälten Eric Seitz und Bruce Ellison, hatte ca. 90 Minuten Zeit sein Anliegen vorzutragen und auf seine Unschuld hinzuweisen. Eine Vertreterin der Turtle Mountain Band of Chippewa Indians, bekundete die Bereitschaft, Peltier in der Turtle Mountain Reservation, wo er vor 64 Jahren geboren wurde, aufzunehmen und sich um einen Wohnort zu kümmern. Der renommierte und mehrfach ausgezeichnete Autor Peter Matthiessen, der mit seinem Buch „In the Spirit of Crazy Horse“ eine der umfassendsten Studien über den Fall Peltiers und dessen zeitgeschichtliche Einordnung verfasst hatte, trat ebenfalls zu Gunsten Peltiers auf. Allerdings ließ es sich auch die Gegenseite nicht nehmen, die unter dem Vorsitz von Isaac Fulwood tagende Kommission, die  aus Mitgliedern besteht, die alle noch durch Georg H. W. Bush und Georg W. Bush eingesetzt wurden, davon zu überzeugen, dass Peltier niemals aus der Haft entlassen werden dürfe

Die Hoffnung stirbt zuletzt, mit diesem Gedanken riefen wir beim Leonard Peltier Defense Offense Office in Fargo, North-Dakota an, um mit Kari Ann Cowan, einer Nichte Leonard Peltiers zu sprechen. Wie würde in den USA die Begnadigungsanhörung eingeschätzt? Was könnten wir in Europa an Unterstützung leisten? Wie ginge es weiter, wenn Leonard freikommen sollte? In den Tagen vor und nach der Begnadigungsanhörung dominierte im Kreis Peltiers Familie, seiner amerikanischen Freunde und UnterstützerInnen verhaltener Optimismus. „Sagt euren Leuten in Deutschland, dass wir dann dringend Geld für ein Mobile Home in der Turtle Mountain Reservation für Leonard benötigen, bis wir für ihn einen eigenen Trailer haben!“ Aber auch „Die nächsten Tage werden für ihn wie die Hölle sein, voller Angst und andererseits Hoffnung, die Ungewissheit kaum aushaltbar. Wir können jetzt nur abwarten. Schreibt ihm in dieser schweren Zeit, er braucht Mut.  Euch allen Dank für die große Unterstützung!“

Nach 23 Tagen des Hoffens und Bangens  und 21 Tage vor Peltiers 65. Geburtstag gab dann die U.S. – Begnadigungskommission am 21. August 2009 ihre Entscheidung bekannt: die Begnadigung Leonard Peltiers wurde erneut abgelehnt. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft erklärte, die Entlassung Peltiers auf Bewährung »würde die Schwere seines Verbrechens herunterspielen und Respektlosigkeit gegenüber dem Gesetz fördern«. An menschenverachtenden Zynismus kaum mehr zu überbieten war der Hinweis, dass die nächste Begnadigungsanhörung 2024 stattfinden könnte. Dann wäre  Leonard Peltier, sofern er noch leben würde, 79 Jahre alt und davon 48 Jahre unschuldig inhaftiert. Und nichts anderes wollen die gnadenlosen und rechtslosen FBI-Büttel in den USA: Leonard Peltier soll erst als toter Mann den Knast verlassen – obwohl sie am besten wissen müssten, dass Peltier unschuldig ist. Solange bleibt er in Geiselhaft, damit die mit staatlicher Billigung oder gar Beteiligung geschehenen Morde an indianischen AktivistInnen und traditionellen Familien, an Mitgliedern sozialer Bewegungen und auch ZeugInnen nicht offiziell ans Licht kommen.

Leonard Peltier hat immer wieder bekundet, die Agenten Coler und Williams nicht erschossen und schon gar nicht kaltblütig hingerichtet zu haben. In seinem Buch >Prison Writings – My Life Is My Sundance< schreibt er an die Eltern, Kinder und Verwandten der beiden getöteten Agenten und beteuert sein Bedauern über den tragischen Tod und über die tragischen Umstände, die zu diesem Zwischenfall führten. Aber er drückt auch seine Trauer über die vielen toten Native Americans aus, die in dieser Zeit des Terrors Opfer geheimdienstgesteuerter Machenschaften wurden. Es herrschte kalter Krieg und in manchen Gegenden auch heißer Krieg in den USA: ein Krieg des weißen, kapitalistischen Amerikas gegen den aufkeimenden Widerstand in den ausgebeuteten und vernachlässigten Dritte-Welt- Regionen des eigenen Landes.