Claus Biegerts Nachruf zum Tode John Trudells in der Süddeutschen Zeitung
In Absprache mit Claus Biegert veröffentlichen wir hiere seinen Nachruf zum Tod John Trudells, der in dieser Fassung am 10.12.2015 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. Danke, Claus und “Toksha John for all your fights and songs.”
Talking Rock aus dem roten Amerika
Der indianische Widerstandskämpfer und Pop-Poet John Trudell ist tot.
Seine Karriere als Poet und Pop-Star begann für den indianischen Widerstandskämpfer 1979, dem Jahr, in dem er in Washington die US-Flagge verbrannte. Ein Jahrzehnt davor war John Trudell Wortführer der „Indians of all Tribes“ – Indianer aller Stämme – , die die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz besetzten, um in den ehemaligen Kerkern eine indianische Universität einzurichten. Er startete den Inselsender „Radio Free Alcatraz“, bis die Staatsgewalt nach 19 Monaten das alternative Projekt mit Gewalt beendete. Anschließend trat er dem American Indian Movement (AIM) bei, jener pan-indianischen Widerstandsbewegung, die sich als Nicht-Organisation bezeichnete und quer durch Nordamerika die geschwächten Stämme vereinte und immer wieder mit spektakulären, militanten Aktionen auf sich aufmerksam machte. 1946 in Omaha, Nebraska als Sohn eines Dakota und einer Mexikanerin geboren, hatte er in Vietnam gekämpft, bevor er die Seiten wechselte und eloquent die USA der Menschenrechtsverletzungen und die Industriegesellschaft der Erdzerstörung anklagte. Sechs Jahre lang leitete er AIM.
Im Reservat Pine Ridge im US-Staat South Dakota herrschte in diesen Jahren Bürgerkrieg. Traditionelle Lakota (gemeinsam mit Dakota und Nakota als Sioux bekannt), die die Regierungsform ablehnten, die das Bureau of Indian Affairs (BIA) eingeführt hatte, standen sich regierungstreuen Stammesmitgliedern gegenüber, den sogenannten „Good Indians“. Das FBI versorgte die „Guten“ mit Munition und Bier und nutzte den Zwist, um in der Zeit rund 2000 ihrer „Special Agents“ im Reservat auszubilden. In diese Ära fällt der berühmte Schußwechsel vom 26. Juni 1975, bei dem zwei FBI-Agenten und ein junger Indianer tot zurück blieben. Als Mörder der Agenten wurde Leonard Peltier ausgesucht und zu zweimal lebenslänglich verurteilt – Beweise gab es nur gefälscht. Peltier, seit 1976 in Haft, wird von Amnesty International als politischer Gefangener geführt. Trudell, schon immer wortgewaltig und dies auch in der Tat, verbrannte als Protest den Sternenbanner vor der Zentrale des FBI.
In der folgenden Nacht fing sein Haus auf dem Shoshone-Reservat Duck Valley im Bundesstaat Nevada Feuer; seine schwangere Frau Tina, seine drei Kinder und seine Schwiegermutter verbrannten. Das Feuer wurde nie untersucht. In Trudells Augen war es ein Racheakt des FBI; Beweise dafür gab es keine. Er war nah daran, sein Gleichgewicht für immer zu verlieren. Um sich zu retten, griff der Aktivist zu Papier und Stift und heilte sich durch Poesie. Er schrieb und schrieb und produzierte „Lines“ – Zeilen –, wie er sich ausdrückte. Seine ersten Büchlein sind Kult; eines hieß „Stick Man“.
Nach einer Lesung in Los Angeles, Anfang der Achtziger war das, kam ein Indianer aus dem Publikum auf ihn zu und sagte, er hätte die Musik zu Johns Worten. Es war der Sänger und Gitarrist Jesse Ed Davis, ein Kiowa, in der Welt des Pop seit George Harrisons „Concert for Bangladesh“ ein bekannter Name. John und Jesse produzierten ihr erstes Tape: „Grafitti Man“. Der Wortkünstler warf seine Lines auf den Klangteppich, den der Rock-Musiker vor ihm ausbreitete.
Dann ging alles seinen Gang. Ein Freund ließ bei einer Party die Kassette in die Rocktasche von Bob Dylan gleiten und der meldete sich schon bald, ließ wissen, nur gewisse Talente seien Meister im Talking Rock, Talente wie Lou Reed oder eben John Trudell. Eine Zeitlang ließ Dylan in den Pausen seiner Konzerte Trudells Tape laufen. Jesse Ed Davis hatte gute Kontakte in der Musikbranche, die ersten gemeinsamen Auftritte wurden gebucht – da fand man den Musiker am Boden in einem Waschsalon: Überdosis. Trudell schrieb neue „lines“ und stellte eine neue Truppe zusammen, Jackson Brown half ihm dabei, er fand zusätzlich einen indianischen traditionellen Sänger, Quilt Man, und produzierte Album um Album; insgesamt vierzehn, dreimal erhielt er den Native American Music Award. Seine Töne wurden von Mal zu Mal präziser, schärfer, radikaler ohne nie die Werte zu vergessen, auf die es ihm ankam: Liebe und Verantwortung. Er begann, in Filmen aufzutauchen, schließlich wurde ein Film über ihn gedreht und preisgekrönt. Zuletzt gründete er zusammen mit dem Folksänger Willie Nelson das „Hempstead Project Heart“, um den Hanfanbau für Baumaterial und Kleidung voran zu treiben. John Trudell starb am Dienstag an Krebs in seinem Haus im Santa Clara County in Nord-Kalifornien.
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