Stellungnahme von Tokata – LPSG RheinMain zur (Nicht)Berichterstattung in deutschen Medien zu Peltier und Dakota Access Pipeline

Der folgende Pressetext ging heute an über 20 deutsche Medien und Journalisten. Gerne können sich weitere Personen und Gruppen dieser Erklärung anschließen:

  Verein zur Unterstützung indianischer Jugend-, Kultur- und Menschenrechtsprojekte

                                 & Leonard Peltier Support Group RheinMain  Germany

 

 

                                    RED LIVES AND RIGHTS MATTER

           Keine Gnade für Leonard Peltier und keine Beachtung indigener Rechte in deutschen Medien?

 

Vorbemerkung 1:  Der folgende Text wurde kurz vor der  Wahl Donald Trumps geschrieben. Bis zu diesem Zeitraum war die Berichterstattung zu den Geschehnissen um die Dakota Access Pipeline nur minimal und nur in wenigen Medien zu finden. Dies hat sich etwas geändert, dennoch – der Grundtenor des folgenden Textes hat immer noch bestand, sowohl bezüglich der Berichterstattung über den seit fast 41 Jahren inhaftierten indianischen politischen Gefangenen Leonard Peltier als auch bezüglich der anhaltenden Eskalation polizeilicher Gewalt gegen indigene Umweltschützer und Menschenrechtler sowie deren Unterstützer in Nord Dakota.

 

Vorbemerkung 2: Der Autor dieser Reklamation ist seit nahezu zwei Jahrzehnten im Bereich indigener Menschenrechte  (vor allem Nordamerika) und im Falle des seit über 40 Jahren inhaftierten indianischen Aktivisten Leonard Peltier engagiert, leitet seit Sommer 2000 den gemeinnützigen Verein „Tokata – LPSG RheinMain e. V.  – Verein zur Unterstützung indianischer Jugend-, Kultur- und Menschenrechtsprojekte & Leonard Peltier Support Group RheinMain“, organisiert seit über 12 Jahren regelmäßige deutsch – indianische Jugendprojekte und ist Herausgeber und Autor des Buches „Ein Leben für die Freiheit – Leonard Peltier und der indianische Widerstand“  (Herausgeber: Tokata – LPSG RheinMain e. V., Autoren Michael Koch/Michael Schiffmann, Traumfänger Verlag 2016) sowie zahlreicher Fachartikel zum indigenen Amerika. Weitere Schwerpunkte der Unterstützerarbeit des Vereins sind Themen wie Todesstrafe, Black Lives Matter, Mumia Abu-Jamal, das US-amerikanische Gefängnissystem, Zapatisten und indigene Proteste in Lateinamerika.

 

Das 2016 erschienene Buch „Ein Leben für die Freiheit – Leonard Peltier und der indianische Widerstand“ beginnt mit einem Kapitel  überschrieben mit „Indian wars aren´t over“. Dieser Titel wurde einem Plakat zur Unterstützung Leonard Peltiers in den USA entlehnt, auf dem die Namen von 60   Lakota zu lesen sind, die durch eine Todesschwadron in der und um die Pine Ridge Reservation (Süd Dakota) in den 70er Jahren ermordet wurden. Auf knapp 40 Seiten werden einige zentrale Momente der Völkermordgeschichte an den amerikanischen Ureinwohnern bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhundert in aller Kürze zusammengefasst. Ein eigentliches Schlusskapitel gibt es nicht, denn die Genozid-, Ethnozid- und Ökozidgeschichte der Indigenen in Amerika, so die düstere These, geht weiter. In dem letzten Kapitel, überschrieben mit „Indian wars still aren´t over“ wird dargestellt, dass in den laufenden Auseinandersetzungen um Menschenrechte, soziale Kämpfe und Umwelt es von Alaska bis Feuerland  vor allem Protagonisten aus den indigenen Bewegungen sind, die durch Entführung, Folter und Mord bedroht sind, das es wieder Indigene sind, die aus ihren Lebensorten vertrieben werden und die der Kontaminierung der Umwelt am unmittelbarsten ausgesetzt sind. In die Medien, sowohl in den USA und Kanada als auch in Europa gelangen diese Meldungen, wenn denn überhaupt, selten.

Ob im Falle des seit über 40 Jahren inhaftierten, mittlerweile 72 Jahre alten und schwer erkrankten indianischen Aktivisten Leonard Peltier oder in der aktuell fortschreitenden Eskalation polizeilich-staatlicher Gewalt um die Dakota Access Oil Pipeline (DAPL) in Nord Dakota, es herrscht hierzu mehr oder minder Ruhe in den deutschen Medien. Mal ein kurzer Artikel dort, mal ein buntes Großbild in einer Illustrierten, das aber eher Klischeevorstellungen über Native Americans vermittelt als konkrete Informationen: es gibt keine oder kaum Gnade für Leonard Peltiers Schicksal und keine oder kaum Berichte zu Konflikten, die indigene Belange betreffen.

Ich will zu beiden Themenbereichen nicht näher auf die Geschichte und näheren Umstände eingehen. Diese sind u.a. in o.g. Buch bzw. in anderen Büchern und Medien recherchierbar. Aber es verwundert denn doch, dass selbst in sich fortschrittlich wähnenden Zeitungen Nachrichten über Peltier oder die Konflikte um die DAPL so gut wie nicht oder kaum vorkommen. So war die einzige Möglichkeit in der TAGESZEITUNG (TAZ) Beachtung für Peltiers Situation und Schicksal zu erreichen immer wieder die   Aufgabe teurer Anzeigen. Weder der sechzigste, fünfundsechzigste, siebzigste Geburtstag des Gefangenen noch der vierzigste Jahrestag seiner Inhaftierung, weder die Herausgabe des o. g. Buches Anfang 2016 in Deutschland noch das Anlaufen einer weltweiten Begnadigungskampagne in den letzten Tagen der Amtszeit von US – Präsident Barack Obama erschienen Anlass genug, um auf einen der aller Wahrscheinlichkeit nach größten US-Polizei- und Justizskandale des 20. und 21. Jahrhunderts einzugehen. Was hier für die TAZ gilt, gilt für andere Medien leider gleichermaßen.

Auch zu der eskalierenden Entwicklung um die Dakota Access Oil Pipeline bleibt die Berichterstattung äußerst zurückhaltend. 1973 rüttelten Bilder schwer bewaffneter Polizei-und Nationalgarde-Einheiten weltweit die Öffentlichkeit wach, wodurch die Belange der amerikanischen Ureinwohner international wieder in das Bewusstsein vieler Menschen gerieten. Für den Kampf um indigene Rechte war dies seinerzeit ein entscheidender Gelingensfaktor.  Heute schweigen die Medien zu einer beispiellosen erneuten Eskalation von Staatsgewalt. Gegen indianische Aktivist*innen, die sich als Protectors (sie schützen ihre Rechte und die Grundlagen des Lebens, nämlich die Umwelt) in friedlichen Aktionen und Aktionen zivilen Ungehorsams gegen die Zerstörung indianischer Grabstätten und heiliger Orte aber auch gegen die Gefährdung der Trinkwasservorkommen von über 17 Millionen Menschen engagieren, wird der Notstand ausgerufen.

Mitteln friedlichen Protests wird äußerste Staatsgewalt entgegengesetzt. Trommeln, Salbei, Gesänge, Gebete und dem  Entschluss, dieser Pipeline nicht zu weichen auf der einen Seite, stehen  Einsatz von Kampfhunden, Pfefferspray aus Großtanks, skrupellose private Security-Dienste,  Nationalgarde-Soldaten in Kampfausrüstung, militärische Überwachungstechnik, Stingrays, Sonare Waffen, Schlagstöcke, Blendschock-Granaten,  Gummigeschosse und andere sogenannte nichttödliche Munition, Tazer, Gewehre – auch auf Kinder und alte Menschen gerichtet, Verbreitung von Falschdarstellungen in den Medien als Teil einer Desinformations-, Verleumdungs- und Hetzkampagne im Sinne psychologischer Kriegsführung gegenüber.  Betende Natives werden festgenommen, Festgenommene müssen sich entwürdigender Körperkontrollen z. T. entkleidet unterziehen, spirituelle Artefakte entwürdigt, eine ganze Kultur erneut diskriminiert und kriminalisiert.

Und die Medien? Verhaltene Berichterstattung, obwohl zahlreiche Journalisten selbst von polizeilichen Maßnahmen betroffen sind. Da wurden Kameras und Filmmaterial beschlagnahmt, Journalisten festgenommen und angeklagt oder bei ihrer Arbeit behindert. Journalisten werden kriminalisiert und wurden durch Pfefferspray, Hundebisse sowie Gummigeschosse verletzt.

Vor dem Hintergrund dieser Gewalteskalation einerseits und vor dem Hintergrund, dass sich mittlerweile die größte pan-indigene Protestbewegung seit Jahrzehnten formiert, ist die marginale Berichterstattung in Presse, Radio und TV schwer zu verstehen. Natürlich, die tagtägliche Auswahl relevanter Nachrichten ist eine Herausforderung für die Medien. Doch kann man die sich abzeichnende Entwicklung so einfach ignorieren? An manchen Tagen sind bis zu 7000 Menschen in den Camps rund um das Baugelände. Vertreter von über 300 indianischen Nationen, aber auch Indigene aus Australien, Neuseeland, Hawaii und anderen Teilen der Welt sind permanent vor Ort. Amnesty International hat Beobachter nach Standing Rock geschickt. Black Lives Matter – Vertreter zeigen ihre Solidarität vor Ort und in zahlreichen Städten der USA. Wie im Falle Peltiers wird die Bewegung durch zahlreiche Rock- und Hollywoodstars und den UN – Menschenrecht s-Rat aus Genf unterstützt.

Schweigen tötet. Auf diesen kurzen Satz kann die mangelnde Medienberichterstattung sowohl im Falle des lebensgefährlich erkrankten Leonard Peltier als auch im Falle der staatlichen Gewaltexzesse gegen friedliche Protestierende in Nord Dakota reduziert werden. Muss Leonard Peltier nach über 40jährigem Haftmartyrium erst auf Grund seines Alters, seiner Krankheit und seiner Haftbedingungen im Hochsicherheitstrakt als 72jähriger sterben und müssen in Nord Dakota bei den Auseinandersetzungen um die DAPL erst indigene Aktivist*innen schwer verletzt werden oder sterben, bevor die Medien dies- und jenseits des Atlantiks hierüber berichten? Ist es Ignoranz oder Arroganz gegenüber den Ureinwohnern Amerikas, die Leben und Leiden der Native Americans aus dem Bewusstsein verdrängt?

Gerade als Nachfahren europäischer Einwanderer, die sich millionenfachen Mordes an den Indigenen Amerikas schuldig gemacht haben, wäre es an uns, zu der anhaltenden Unterdrückungs-, Kolonialisierungs- und Völkermordgeschichte öffentlich Position zu beziehen – hier in Europa und in den USA. Deutschland gibt vor aus der eigenen Holocaust-Geschichte gelernt zu haben. Der Nachkriegsgeneration wurde immer wieder gesagt, sich gegen Unrecht und Unmenschlichkeit zu engagieren und die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Wer schweigt macht sich mitschuldig.

In diesem Sinne appellieren wir an die Medien auf das drohende Schicksal des inhaftierten indianischen Gefangenen Leonard Peltier und die Situation in Nord Dakota hinzuweisen.

 

Unterzeichner:

Tokata – LPSG RheinMain e. V. – Verein zur Unterstützung indianischer Jugend-, Kultur- und Menschenrechtsprojekte & Leonard Peltier Support Group, Seligenstadt

 

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