Out of Balance: Von Wölfen und Menschen. Einige unsortierte Gedanken nach dem Besuch des NORTHERN LIGHTS WILDLIFE WOLF CENTER
Unser politisches Mantra, nämlich dass Umwelt, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit für Strategien politischer Aktionen zusammengedacht werden sollten (was Fragen zu friedvollem Zusammenleben, Migration, Flucht, Gesundheit, Bildung und Erziehung einbeschließt), haben wir mehrfach beschrieben. Längst ist dies auch thematisch in den Lese- und Vortragsreisen integriert, mal mehr mal weniger explizit. Der gestrige Besuch des NORTHERN LIGHTS WILDLIFE WOLF CENTERs nahe Golden in Kanada, BC machte uns dies die Notwendigkeit intersektoralen Denkens anhand der dortigen Informationstafeln erneut drastisch deutlich.
Das Thema „Wolf und Mensch(en)“ ist seit Jahrhunderten menschlicherseits ein Faszinosum sowohl bei Linken, Esoteriker*innen, Rechten (Graue Wölfe), Horror- (Werwolf) und Naturfreunden. Es ist Stoff von Märchen und Sagen aus aller Welt, wobei dem Wolf stets das Böse, Hinterlistige und Mörderische anhaftete. Und es ist ziemlich unmenschlich durch Falschannahmen, Feindseligkeit, Hass, Jagd- und Tötungsgier geprägt. Und heute spaltet sich unser Verhältnis zu dieser „oldest brother (sister)hood of us human beings“, wie es Indigene oftmals sagen, vereinfacht in vier Personengruppen: die notorisch Gleichgültigen und Unwissenden, die notorischen Wolfsgegner*innen und -hasser*innen, die notorischen Wolfsromantisierer*innen und viertens in Wissenschaftler*innen sowie ökologisch motivierte Wolfsverteidiger*innen.
Gemein ist vor allem den ersten drei Personengruppen, dass sie bedenken- und gedankenlos ihre Stereotypen verteidigen. Doch selbst in der Wolfsforschung wurden lange Zeit Fehlinterpretationen aufrechterhalten.
Anyway, was gestern u.a. mehr als nachdenklich stimmte ist die Situation der Wölfe in Kanada. Viele kennen die Film- und Literaturberichte über die Wiederansiedlung der Wölfe im Yellowstone National Park und die Auswirkung auf das dortige Ökosystem und dies inkludiert Artenvielfalt, Klima sowie Ökogleichgewicht. Diese Wölfe kamen Mitte der 90er Jahre aus einem Rudel des bzw. nahe des Banff NP in Kanada. Fasziniert argumentieren wir mit diesem Beispiel und versuchen andere von der Bedeutung des Wolfes für unsere Umwelt zu überzeugen.
Im Banff NP fanden sich bei früheren Reisen immer wieder Warnhinweise, keine Essensreste und Müll an Parkplätzen oder bei Wanderungen zurückzulassen, nicht nur wegen der Bären sondern auch wegen der Wölfe, die somit zu nahe den Menschen kämen. Heute könnte man bezüglich der Wölfe diese Schilder entfernen, denn die letzten Wölfe haben den Park verlassen oder aber wurden getötet. Getötet im Sinne von: von Park Ranchern erschossen, da sie den Menschen zu nah kamen und aggressiv um Futter bettelten oder von Autos und Zügen überfahren wurden (Wölfe nutzen gerne Straßen und Trassen als ihre „Highways“). Und was hat dies mit uns zu tun? So schön National Parks auch sind und auch gut für staatliche Tourismuseinnahmen, für die Natur sind jährlich über 4 Millionen Besucher*innen im Banff NP mit all dem Müll, Lärm, der Ruhestörung durch Wanderer und Massenverkehr einfach zu viel. Dies bringt das Ökogleichgewicht zum Kollabieren. Es wird eine Herausforderung für die Zukunft sein, wie man hier ein für beide Seiten verträgliches Management hinbekommt, denn natürlich steckt in allen Naturerlebnissen auch die Option, dass Menschen ihr Verhältnis zur Natur reflektieren und ihrer Umwelt mit mehr Respekt begegnen.
Noch erschütternder jedoch war die Information, dass in Kanada Wölfe ganzjährig gejagt werden können, in großer Zahl durch Strychnin vergiftet werden, es organisierte Helikopterjagden gibt usw. Ein Wolfsschlachten, wie wir es auch aus den USA seit langem kennen. Wir haben nun einige Protest-Postkarten mitgenommen und werden nach Rückkehr diese Protestaktion zum Schutz der Wölfe (sehr zur Freude unserer indigenen Freund*innen) unterstützen.
In Kanada und in den USA kämpfen viele Gruppen dafür, Wölfe auf die Liste der gefährdeten Spezies zu setzen. Gut so. Und bei uns in Europa (und mal wieder Deutschland vorneweg) wird dies per Gesetz gerade „liberalisiert“. Mit anderen Worten: die Lobby der Bauern, Tierhalter und Jäger und deren Bündnispartner*innen in der Politik (quer durch alle Parteien, aber ganz besonders bei den Rechten) hat sich mit Druck, Desinformation, Angst vor Wähler*innenstimmenverlusten und vorgeschobenen, verlogenen Tierschutzargumenten durchgesetzt. Umweltexpert*innen, Wissenschaftler*innen mit Expertise, Umweltorganisationen haben in der herrschenden Politik ohnehin kaum Bedeutung, ansonsten würden die seit Jahrzehnten vorliegenden Erkenntnisse zu Klimakrise und Artensterben zu anderem politischem Handeln führen. Doch solange noch auch bei uns Politiker*innen Fragen stellen wie z. B. „wie viele Wölfe Deutschland braucht“ und dabei ein Naturbeherrschungsverständnis outen, dass es dem Menschen zusteht beurteilen zu können, wer ein Recht auf Leben und Überleben hat, solange ist und bleibt der Mensch des Menschen Mensch (bewusst den Spruch verändert, denn die Urform des Spruches wäre eigentlich wieder wolfsfeindlich). Irgendwas ist bei uns Menschen auch beim Thema „Wolf“ völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Vielleicht, weil wir bezüglich Sozialverhalten noch einiges von Wölfen und anderen Tieren lernen könnten.



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